Frau Sieben's Blog – weggehen, um anzukommen


112. Verstümmelt
7. März 2011, 12:27
Filed under: Allgemein

Es ist etwas schreckliches passiert…!

Ich fühle mich nur noch wie ein halber Mensch!

Andere Menschen gehen dafür zum Arzt, mir ist es einfach so passiert. Ohne das ich es wollte. Im Gegenteil, ich bekam von einem Doktor mal die Empfehlung, ihn entfernen zu lassen. Aber „nein!“, habe ich entgegnet. „Auf gar keinen Fall“, fügte ich bekräftigend hinzu. “ Er ist ein Teil von mir und sollte er mich eines Tages hinweg raffen, so war es vom Schicksal so gewollt“! Pathetik ist zwar nur eins meiner Nebenfächer, aber WENN ich diese Schublade aufziehe, dann soll auch etwas starkes daraus hervor kommen.

Ich hatte es mir schon am frühen Abend bequem gemacht, war nach der Dusche in den neuen dunkelroten Satin-Pyjama und den frottierten rosa Bademantel geschlüpft, um mir nach einem freudigen Party-Wochenende mit vielen Freunden in Berlin, einen gemütlichen  Glotz-Abend zurück auf`m Dörfsche in unserem 400 Jahre alten Häuschen zu machen. Hat auch wunderbar geklappt! Und zwar genau solange, bis ich Sohn ins Bett gebracht, noch einen Schritt in die Küche getan hatte, um die Spülmaschine anzuschmeißen und mir ruckartig meinen unterm Bademantel verborgenen neuen Schlafanzug zurecht zupfte – ein unbestimmter Schmerz durchzuckte mich und mir wurde völlig elend, weil mir schlagartig und zwar ohne nachzukucken, klar wurde, was soeben passiert war. Zunächst ignorierte ich das Ergeigniss. Ein deutliches Zeichen eines Schockzustands. Dann tastete ich, die Starre abschüttelnd, vorsichtig an meinem Unterbauch herum. Es war nass. Und es fehlte etwas Entscheidenes. Mein jahrelang gehüteter, beschützter, geliebter, weil mit vielen schönen Erinnerungen verbundener, an Größe nicht unerheblich wirkender Leberfleck!

Oh – mein- Gott!

Ich hatte ihn mir abgerissen.

Er war mit nur wenigen Hautanteilen mit mir verbunden gewesen. Dafür schlugen unsere Seelen im Gleichklang…

Die Nässe an meiner neuen Schlafanzughose machte mir zu schaffen und ich holte mir schnell eine wenig zusammengefaltetes Klopapier, lupfte die Hose und gefror ob der Nacktheit meines Unterleibes. Fehlte doch der vertraute, dunkelbraune,seit meiner Kindheit mich begleitende,leicht knubbelige Kamerad. So könnten sich Männer-Ängste anfühlen, schoß es mir durch den Kopf –    und mir wurde er genommen!

Eine meiner wichtigsten Erinnerungen ist, wie Tochter als kleines Kleinstkind am Morgen auf mir herun krabbelte. Sie legte gerne ihren Kopf auf meinen Bauch und als sie meinen Leberfleck entdeckte, zuppelte sie flugs daran herum, wollte ihn wegpflücken um ihn sich den Mund zu schieben. “ Osine, Osine“, plapperte sie eifrig und meinte damit eine der extra dicken saftigen Rosinen entdeckt zu haben, mit der wir sie damalig des öfteren zu verwöhnen pflegten. “ Nein, nein“, rief ich ängstlich erschrocken, konnte mich aber trotz Verlustangst nicht davon abhalten lassen, mich so kringelig zu lachen, dass mich Tochter-klein  erschrocken mit riesigen Augen ansah. “ Das ist KEINE Rosine, du Kind, das gehört MIR“! Und eiligst legte ihr Vater ein paar echte Rosinen daneben, um ihr den Unterschied zu demonstrieren. Es gab so gut wie keinen, außer das meine sich nicht „pflücken“ ließ. Eine Geschichte, die wir bis heute mehrmalig im Jahr erzählen. Meist reicht es einfach nur „Osine, Osine“ zu rufen, um uns alle zum Lachen zu bringen.

Wie soll ich das Tochter nur beibringen…

Wird sie mich noch lieben, wie zuvor?

So nackt….?

Irgendwann gewann eine Frage an dem Rest dieses Abends in in mir die Oberhand:“ Wo ist er? Wenn er nicht mehr dort war, wo ich eiligst Zellstoff draufgepresst hatte, um die Blutung zu stillen, wo war er dann? Mit zusammengebissenen Zähnen, das Grauen erwartend, klappte ich langsam den Bund des Pyjamas um, fand nichts, rollte ihn langsam weiter und weiter hinunter, bis nichts mehr ging, außer die Hose ganz hinunter zu ziehen und angstvoll darauf vorbereitet zu sein, den abgerissenen Fleck an mein Bein geklebt zu entdecken. Aber nichts fand ich. Ich setzte mich kurz um tief ein-und auszuatmen. Dann stand ich wieder auf, biss die Zähne so fest aufeinander, bis es weh tat, schritt zielsicher in die Kücher und bückte mich in Gewissheit, um etwas matschig braunes vom Küchenfußboden aufzuheben. Ich barg ihn in meinen Händen und er fühlte sich kalt und tot an. Tränen traten in meine Augen und ich hauchte ein wenig warmen Atem über ihn, um meinem geliebten Leberfleck doch ein wenig von der Wärme des Lebens zurück zu geben. Er erwärmte sich auch leicht, doch mir war klar, „es ist nur eine Illusion…lass ihn gehen!“ Aber wohin? Ein Loch graben und ihn bestatten? Zu übertrieben! In den Müll und weg? Realistisch – es ist nur tote Haut! So wie Fingernägel….oder ein Popel! Nein- jetzt rede dir das bloß nicht ein! Er war dein Freund! Er ist mit dir durch dick und dünn gegangen! Immer war er an deiner Seite! Zuverlässiger als so manche Freundin und mancher Geliebter in deinem Leben. Aber aufheben…? Der fängt doch bestimmt an zu stinken, irgendwann.

Ich öffnete die Tür zum Hof und legte ihn zwischen die langsam schon wieder wachsenden Gras-lilien. So! Jetzt wird mein Begleiter zu Erde und düngt das Leben. Ich werde ihn nicht mehr bei mir haben, denn ich ziehe bald weg. Aber ewig wird ein Teil von mir mit diesem so von mir geliebten Haus und Hof verbunden sein. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Leberfleck bestattet UND Abschied von hier organisiert. Macht es nicht leichter, aber besser, als wenn man gar nichts macht!

Vorhin war ich Schrippen kaufen, die ja hier Brötchen oder Weck heißen. Jeder Schritt, den ich tat, tat ich im Bewußtsein, dass etwas nicht mehr bei mir ist. Der Schmerz zieht sich bis tief in den Unterleib hinein. Ich denke, es ist der Phantom-Schmerz.

Was Bruder-Freund wohl dazu sagen wird? Der letzte Mann in meinem Leben, der „Osine“ noch miterlebt hat…hach!

Ich fühle mich kastriert!

“ Du tust mir sooo leid“, sagt Sohn in tief empfundener Anteilnahme und streichelt mir liebevoll über den Kopf.


6 Kommentare so far
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Himmel, wie kann man sich den einfach abreißen? das muss ein blutbad gewesen sein…

(schön, dich ma wieder zu lesen!)

Kommentar von podruga

naja, ich hab`ordentlich in den Schlafanzug gekniffen, um den zurecht zu ruckeln. war halt ein stark erhöhter Leberfleck…
Das mit der Blutmenge hielt sich in Grenzen. Ist eher ein psychisches Blutbad…
Sooo schade!
Kaum zu glauben…
Ich muß total lachen, obwohl…uäääähhh!!!

Kommentar von frausieben

Geehrte Frau Sieben-
in tiefer Anteilnahme las ich Ihre Zeilen…
Ich werde seine Erinnerung hegen wie einen Schatz!
Siehst bestimmt komisch aus, so ohne-
Hochachtungsvoll
seKo

Kommentar von Herr Ko

an Herrn Ko: IHRE…mein Leberfleck war eine SIE! „OSIEne“ genannt! Also musst du IHRE Erinnerung pflegen!Und – ja- es sieht komisch aus ohne…wenn du nett bist, zeig ich`s dir. Halte Taschentücher bereit!

Kommentar von frausieben

die osssssssiiiiiiiinnnnnnnneeeeeeeee!!! ich werde alles in bewegung setzten um rauszufinden wie weit die forschung mit obst zu mensch transplantationen sind vllt lässt sich ja was machen… und ja ich liebe dich!!!!

Kommentar von na icke!

Ja Tochter! Für deine Nachforschungen wäre ich dir dankbar!Und ein Glück liebst du mich auch noch „ohne“! Ist vllt eine fb-abkürzung für vielleicht?lol, ;-) :-x
i <3 u 2 (bin ich gut?)
mamasieben

Kommentar von frausieben




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